Die Unabhängigkeit der großen Zehe

Zoologische Staatssammlung München

Die Evolution von Händen und Füßen ist entscheidend für das Verständnis der Entwicklung des Menschen. Unsere Hände ermöglichen es uns, die Welt um uns herum zu begreifen, unsere Füße den aufrechten Gang. Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der große Zeh bei seiner Entwicklung einem größeren Selektionsdruck ausgesetzt war als der Daumen. Ein deutsch-französisches Forscherteam unter der Leitung der SNSB-Zoologin Anneke van Heteren hat eine neue statistische Methode entwickelt, um die Variationsbreite von Finger- und Zehenknochen von Homo sapiens zu vergleichen. Die Forscher:innen haben ihre Ergebnisse nun in der neuen Zeitschrift American Journal of Biological Anthropology, früher bekannt als American Journal of Physical Anthropology, veröffentlicht.

Hände und Füße haben wahrscheinlich einen gemeinsamen evolutionären Ursprung, denn bei den meisten Primaten, sehen diese recht ähnlich aus. Aber beim Menschen haben sich insbesondere die Füße unterschiedlich weiterentwickelt: So liegt die große Zehe parallel neben den übrigen Zehen, anstatt gegenüberstellt. Es ist immer noch nicht vollständig geklärt, wie genau sich die abweichende Morphologie der Großzehe beim Menschen entwickelte.

Ein deutsch-französisches Forscherteam unter der Leitung von Anneke van Heteren, Leiterin der Säugetiersektion an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) hat nun untersucht, im welchem Maß die Form der unterschiedlichen Finger und Zehen beim Menschen variiert. Die Wissenschaftler:innen fanden heraus, dass die Form von Großzehen und Daumen bei Homo sapiens anders variiert als bei allen übrigen Fingern. Einfach erklärt bedeutet das: hat ein Mensch robuste Finger und Zehen, so bedeutet das nicht automatisch, dass sein Daumen und großer Zeh gleichermaßen robust sind. Vor allem der große Zeh zeigt viele Formvariationen, während die übrigen Zehen in gleichem Maße eher robust oder grazil sind.

Für ihre Studie haben Anneke van Heteren und ihre Kollegen menschliche Zehen- und Fingerknochen von knapp 80 Individuen untersucht und miteinander verglichen. Die Forscher:innen entwickelten dafür eine neuartige statistische Methode zur Ermittlung dieser sogenannten Kovariation. Ihre statistischen Berechnungen basieren auf digitalen „Landmarks“, Orientierungspunkten auf dreidimensionalen Computermodellen der Knochen.

„Uns hat erstaunt, dass die Großzehe beim Menschen offenbar relativ unabhängig von den übrigen Zehen und Fingern in ihrer Form variiert. Das könnte darauf hindeuten, dass die Großzehe eine größere Entwicklungs“freiheit“ im Vergleich zu den anderen Zehen hatte und so im Laufe der Evolution einem eigenständigen Weg folgen konnte. Dies ist möglicherweise die evolutionäre Folge eines erhöhten Selektionsdrucks auf die Großzehe im Zusammenhang mit der Entwicklung der Zweibeinigkeit. Diese Anpassungen des Fußes könnten zu Anpassungen in der Hand geführt haben und somit zur Evolution des Daumens und dem damit verbundenen Präzisionsgriff“, interpretiert Anneke van Heteren die Ergebnisse der Studie.

Publikation:
van Heteren, A. H., Friess, M., Détroit, F., & Balzeau, A. (2021). Covariation of proximal finger and toe phalanges in Homo sapiens: A novel approach to assess covariation of serially corresponding structures. American Journal of Biological Anthropology, 1– 18. https://doi.org/10.1002/ajpa.24439

Kontakt:
PD Dr. Anneke H. van Heteren
Zoologische Staatssammlung München (SNSB-ZSM)
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Tel.: +49 89 8107 125 oder 0151 651 617 15
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